Richard Guniš
1. Schritt – Alte Photos
JUDr. Ludwig Czech - ein Photo aus der Militärzeit: er ist der größte, trägt einen langen Wintermantel dunkler Farbe, langes, ovales Gesicht und obwohl jung, trägt er schon Brille; er wirkt ein bisschen linkisch mit seiner hohen Gestalt und den langen Armen.
- ein Photo aus einer öffentlichen Rede: er steht hinter einem Rednerpult, ist immer noch groß, aber auch dicker geworden; er trägt eine graue Hose und Jackett, sein Haar ist ganz kurz und bleich.
- das Profil auf der Gedenktafel: es sieht ihm gar nicht ähnlich – hohe Stirn, Brillen, strenges, entschlossenes Gesicht, scharfe Nase, Doppelkinn, Schnurrbart.
Dr. Julius Deutsch - ein Photo aus dem Spanischen Bürgerkrieg: hohe Stirn, rundes Gesicht, Doppelkinn, weiches Lächeln, eine nicht zu breite Nase, sehr angenehme Augen; das Photo ganz in schwarzweiß, mit einen feinen Dunst von Retusche überzogen.
- ein Photo mit seiner Frau: eleganter weißer Anzug; auf allen Photos, mit Ausnahme dort, wo er eine Uniform trägt, hat er elegante Anzüge an; ein gepflegter Mann, ein Gentleman, ein genießerischer Mann.
- ein Photo nach den Februarkämpfen 1934: eine schwarze Augenbinde, hinter der ein großer weißer Verband hervorguckt; unrasiert, mit zersausten Haaren blickt Deutsch nach vorne; ein grobes Photo, ohne jede Retusche.
2. Schritt – Wien und Brünn
Czech lebte nicht lange in Wien, ich kann nicht mal sagen wie lange. Was ich sagen kann ist, dass er da mit seinem Jurastudium angefangen und sich der Sozialdemokratischen Partei angeschlossen hat, irgendwann in der ersten Hälfte der letzten zehn Jahren vor der Jahrhundertwende.
Er wird Rechtsanwalt wie so viele Sozialdemokraten, ein Advokat, ein Verteidiger, später wird man schreiben ein „ausgezeichneter Stenograf, beliebter und anerkannter Verteidiger“. Er schließt sich also der Sozialdemokratischen Partei an. Immer wenn so ein Satz fällt, wirft man die Frage nach Herkunft, nach Dispositionen, nach dem Elternhaus.
Nun, er wurde in Lemberk geboren, Sohn eines Bahnbeamten, der später Besitzer eines Caféhauses wurde. Sind das Dispositionen? Oder hat nur Wien so auf ihn gewirkt, Wien vor der Jahrhundertwende mit seiner schärfer hervortretenden Sozialfrage. Hat er sie sich auch gestellt? Wenn ja, musste er sich dieselbe Frage auch in Brünn stellen, denn dahin ziehen die Eltern noch während seines Studiums um. Von dieser Zeit an ist für ihn Brünn sein Zuhause und wird es auch für lange Zeit bleiben. Wien als dauerhafter Wohnsitz endet mit der Erinnerung an den zwanzigjährigen Jurastudenten und jungen Sozialdemokraten.
Deutsch ist 14 Jahre nach Czech geboren, war zwar gelernter Buchdrucker, studierte und promovierte aber neben seiner Arbeit in Rechtswissenschaften.
Während der ältere Czech als junger Jurastudent und Sozialdemokratiemitglied in den gespannten, aber friedvollen Jahren der Habsburger Monarchie eine kurze Zeit in Wien verweilte, dann mit den Eltern umgezogen ist, sich aber nach wie vor frei bewegen und jederzeit nach Wien zurückkehren konnte, musste der jüngere Deutsch Wien und die ganze Republik Österreich, wo er eine hohe Position besaß, in den Februartagen 1934 zerschlagen und gehetzt, unter Androhung der Todesstrafe verlassen und auf Umwegen in die tschechoslowakische Republik fliehen. Er floh nach Brünn, in die Stadt wo Herr Minister Czech, der jetzt in der Prager Regierung, in einer hohen Position wie sie noch vor ein paar Wochen auch Deutsch ausgeübt hatte, zuständig war für Gemeinarbeit, später für Gesundheitswesen und Sport, „mit großem Interesse im Arbeiterbund für Bildung, wo er eine große Bibliothek begründet hatte, arbeitete“.
Hier bleibt Deutsch für ungefähr drei Jahre (1934-1936) und begründet mit anderen ALÖS (Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten). Für drei Jahre bleibt Brünn sein Zuhause, etwa 100 Kilometer weiter in Wien ist er eine Persona non grata, die sofort hingerichtet würde. Er ist 50 Jahre alt und fängt ein neues Leben an, nicht weit von seinem alten.
Czech und Deutsch treffen sich ein oder mehrmals in Czechs Wohnung an der damaligen Francouzská (heute die Straße Milada Horáková), und ab diesem Moment scheint es, als hätten sich ihre Schicksale gegenseitig abgewechselt und ausgetauscht.
Der Exilant ohne Heimat und unter Todesstrafe wird nach dem Abgang aus Brünn General im Spanischen Bürgerkrieg, flieht in die USA, heiratet die Schriftstellerin Adrienne Thomas, kehrt nach dem Krieg nach Österreich zurück und stirbt im Wien im Jahre 1968 als 84-Jähriger.
Der Minister in der Prager Regierung, der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten in der Tschechischen Republik wird im Jahre 1938 aller seiner Ämter enthoben und er selber resigniert auf dem Ministerposten. Obwohl er jederzeit fliehen konnte und ein gültiges Ausreisevisum für die Niederlande hatte, beschloss er in Brünn zu bleiben – bis er ins Konzentrationslager Terezín deportiert wurde, wo er im August 1942 als 72-Jähriger an Lungenentzündung gestorben ist.
3. Medien als Gedächtnissspeicher
Encyklopedie dějin města Brna funktioniert als Gedächtnissspeicher mit ihren schnell zugänglichen Informationen, die sich vorbehaltlos von den Wirren der Ideologien und Vorurteile des 20. Jahrhunderts befreit haben. Neu und erfrischend gleiten sie über die ganze Nationalismus-Debatte hinweg und sind wirklich nur darauf ausgerichtet, den Menschen, die in- oder außerhalb Brünns leben, näheres über diese Stadt und ihre Geschichte zu berichten. Zu diesem Zweck ist eine große Datenbank bereitgestellt, die auf alte und neue Photos fast aller Brünner Straßen zurückgreift, Persönlichkeiten aufsucht und noch die passende Sekundärliteratur dazu erwähnt.
Dora Müller funktioniert als Gedächtnisspeicher mit ihrem Buch über Ludwig Czech, wo sie ihn nicht als Politiker vorstellt, also eine Projektion aus der Gedenktafel, sondern als Menschen in seiner alltäglichen Umgebung, inmitten seiner Familie, begrüßt und beschrieben von Freunden.
Dora Müller ist auch die Initiatorin der Gedenktafel, die heute an der Straße Milada Horáková angebracht ist, und für die sie lange gekämpft hat. Und gerade dieser Kampf für einen Menschen und für sein Gedächtnis macht aus dem Buch und der Person Dora Müllers einen Gedächtnisspeicher, der uns immer wieder daran denken lässt, dass Gedächtnis nicht selbstverständlich ist, sondern erkämpft werden muss.
4. Zusammenfassung
In der Beschreibung von der Persönlichkeit Ludwig Czechs in der Encyklopedie dějin města Brna steht geschrieben: „Ein Verfechter friedlichen Zusammenlebens Deutscher und Tschechen in der Tschechoslowakischen Republik, Vertreter der deutschen Sozialdemokratie“. Der Sozialdemokrat Ludwig Czech hat ein friedliches Zusammenleben zweier Nationen angestrebt, dass nach Jahren erbitterter Kämpfe bewerkstelligt ist. Schon deswegen sollten man den Vorreitern solcher Ideen einen lebendigen Gedächtnisort gewähren, damit andere dasselbe Ziel anstreben.
Quellen:
Müller, Dora: Ludwig Czech. AVE pro Německé kulturní sdružení v Brně. Brno 2004.
www.encyklopedie.brna.cz/home-mmb/?acc=profil_osobnosti&load=46 – 16k -
www.dasrotewien.at