Vojtěch Trombik
Ringstraße und Historismus
Nur ein Jahr nachdem die Wiener Ringstraße entstand (1859), plante der österreichische Architekt Ludwig Förster den Bau der Ringstraße in Brünn. Förster, nachdem er als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien tätig war, beteiligte sich bereits an der Planung der Wiener Ringstraße. Früher arbeitete in seinem Atelier auch Otto Wagner, der einen enormen Einfluss auf die Architektur in Brünn hatte. Ein weiterer Architekt der Wiener Ringstraße, der auch in Brünn wirkte, war Försters Schwiegersohn Theophil von Hansen. Nach kleinen Änderungen entstand dann 1863 der endgültige Plan der Brünner Ringstraße.
Einer der bedeutendsten Architekten der Ringstraße in Brünn war Försters Kollege Heinrich von Ferstel – natürlich aus Wien stammend. Dieser hatte in Brünn viele Aufträge vor allem dank seinem Palais Bergler – dem heutigen Österreich Institut. An der Ringstraße baute dieser Architekt die evangelische Kirche – die sogenannte Rote Kirche. Seine Bauten leiteten die Ära des strengen Historismus in Brünn ein.
Die wahrscheinlich bekanntesten Bauten der Brünner Ringstraße – Besední dům und Pražákův Palác – stammen von dem schon erwähnten Architekten Theophil von Hansen. Beide Gebäude sind der Neorenaissance zuzuordnen.
Das sogenannte Regierungsviertel der Ringstraße – sakrale, amtliche, Kultur- und Schulbauten – realisierten die berühmten Wiener Architekten. Den Brünner Architekten blieb dann das sogenannte Residenzviertel.
Mit dem Bau des Deutschen Stadttheaters – heute Mahenovo divadlo – begann der späte Historismus in Brünn. Einer der ersten Architekten dieses Stils in Brünn war Germano Wanderley, der gemeinsam mit Alois Prastorfer an der technischen Fachschule in Brünn unterrichtete. Zu deren Schülern gehörten u.a. Leopold Bauer, Bohumír Čermák, Hubert Gessner, Josef Hoffmann, Adolf Loos und Alois Ludwig. Außer Loos setzten alle ihre Ausbildung im Atelier von Otto Wagner in Wien fort.
Hubert Gessner: Bezirkskrankenkasse
Otto Wagners Schüler in Brünn
Unter die Schüler von Otto Wagner sind u.A. zu zählen: Alois Ludwig, Leopold Bauer, Bohumír Čermák, Hubert Gessner, Franz Holik und Jan Mráček. Wagner beeinflusste aber auch diejenigen, die nicht bei ihm im Atelier studiert haben. Während seiner 20 Jahre langen Tätigkeit als Lehrer hatte er ca. 200 Schüler, von denen ein Viertel aus Böhmen, Mähren und Schlesien stammte.
Diese Architekten brachten den sich in ganz Europa verbreitenden Jugendstil nach Brünn. Bohumír Čermák gründete 1910 in Brünn die „Bürgerliche Handwerkskunst“ nach dem Vorbild der 1903 von Josef Hoffmann gegründeten Wiener Werkstätten. Seine Familie hat sich als deutsch angesehen, er schrieb seinen Namen ursprünglich Gottfried Czermak, erst nach 1918 benutzte er die tschechische Form.
Zu den architektonisch interessantesten Gebäuden in Brünn gehören auch die von Hubert Gessner. So zum Beispiel die Bezirkskrankenkasse an der Straße Milady Horákové. Gessner kombinierte hier rote Ziegeln mit Kacheln, Metall und Glas und fand mit diesem Gebäude seinen eigenen Stil.
Triumph des Funktionalismus
In den 20er Jahren begann ein neues Kapitel der Brünner Architektur. In den Jahren 24/25 gab es in Brünn Vorträge über die neue Architektur, die von Persönlichkeiten wie Le Corbusier, J.J.P. Oud, Theo van Doesburg, Walter Gropius oder dem aus Brünn stammenden Adolf Loos gehalten worden sind.
Der Purismus (Le Corbusier) und die Neue Sachlichkeit (Gropius) übten in Brünn einen deutlich stärkeren Einfluss als die hollandisierende Architektur im Sinne von J.J.P. Oud.
Bohuslav Fuchs: Zemanova kavárna
Wenn man ein schönes Beispiel nennen sollte, dann bietet sich die Zemanova kavárna des Architekten Bohuslav Fuchs an. Das Original wurde 1925 gebaut, musste dann aber dem Janáčkovo divadlo Platz machen, in dessen Nähe heute eine genaue Kopie des ursprünglichen Kaffeehauses steht.
Mit dem Bau des Messegeländes 1928 wurde der Triumph des Funktionalismus in Brünn eindeutig. Als dessen Höhepunkt kann man heute die Villa Tugendhat des berühmten Architekten Mies van der Rohe ansehen. Dieses architektonische Juwel wurde in den 30er Jahren jedoch als ein Bau für den neuen Adel gesehen und als solches von den sich gerade mit dem sozialen Wohnen beschäftigenden Architekten heftig kritisiert.
Quellen:
Jan Sedlák. Brno secesní: deset kapitol o architektuře a umění kolem roku 1900. Brno: ERA, 2004.
Jan Sedlák et al. (ed.). Slavné brněnské vily. 1. vyd. v jazyce českém. Praha: Foibos, 2006.
Ist auch auf Englisch erschienen:
Jan Sedlák et al. (ed.). Great villas of Brno. 1st pub. in English. Prague: Foibos, 2007.